Die Entleerung des Stuhls ergibt sich aus einem komplexen Zusammenspiel von muskulären und nervalen Strukturen. So müssen sich z.B. die muskulären Strukturen zum richtigen Zeitpunkt entspannen, um die Stuhlpassage zu ermöglichen. Dieses wird durch das Gehirn und Nervenstrukturen gesteuert.
Unter einer Verstopfung (Obstipation) versteht man eine erschwerte (starkes Pressen), seltene (weniger als 3x pro Woche), oder unvollständige Stuhlentleerung. Die Obstipation ist eines der häufigsten Gesundheitsprobleme unserer Zeit. Betroffen sind bis zu 25% der Bevölkerung. Sie nimmt mit dem Lebensalter an Häufigkeit zu, Frauen sind dreimal so häufig betroffen wie Männer. Sie ist mit einer Vielzahl von Erkrankungen assoziiert oder auf strukturelle bzw. funktionelle Veränderungen des Darmes zurückzuführen. Die Verstopfung beeinträchtigt häufig die Lebensqualität und ist mit hohen Kosten verbunden. Eine chronische Obstipation, die über Jahre persistiert und mit einem extrem starken Pressen verbunden ist, kann zu Dehnungsschäden an den Nerven des Beckenbodens mit Beeinträchtigung der Kontinenzleistung führen.
Bei der chronischen Obstipation (Verstopfung) kann zwischen zwei Formen unterschieden werden:
Bei einigen Patienten mit langjähriger Verstopfung kann eine Transportstörung des Dick- und manchmal auch des Dünndarmes nachgewiesen werden, deren Ursache nicht vollständig geklärt ist. Möglicherweise spielen Störungen der Nerven innerhalb der Darmwand eine Rolle. Auch medikamentöse, soziologische und psychische Faktoren sind jedoch an der Entstehung beteiligt. Man nennt dies eine „Slow-transit-Obstipation“, also auf Deutsch eine Transportstörung des Darmes. Gehäuft sind jüngere Frauen betroffen. Charakteristische Symptome sind: lange Krankheitsdauer, kein spontaner Stuhldrang, aufgetriebener Bauch, Völlegefühl.
Bei der anderen Form handelt es sich um eine Stuhlentleerungsstörung des Enddarmes. Die Patienten können den Stuhl nur unvollständig und portionsweise entleeren. Manchmal wird sogar über ein regelrechtes Sperregefühl beim Entleerungsversuch geklagt. Brennen und stechende Schmerzen im Enddarm sind bei diesen Patienten häufig. Einige Patienten müssen die Stuhlentleerung mit der Hand unterstützen (Druck auf Damm oder Scheide, direkte Ausräumung des Enddarmes). Diese Form nennt man „Outlet-Obstruction“ oder „Obstruktives Defäkationssyndrom“, zu Deutsch Stuhlentleerungsstörung. Auch hier sind neben organischen Ursachen häufig auch soziologische und psychische Faktoren eine wichtige Rolle.
Mischformen sind nicht selten.
Vor der weiteren proktologischen Diagnostik müssen verschiedene Ursachen abgefragt werden. Dazu zählen auch folgende sekundäre Ursachen:
– Endokrinologische Ursachen (Diabetes mellitus, Hypothyreose (Unterfunktion der Schilddrüse), Hyperparathyreoismus (Überfunktion der Nebenschilddrüse))
– Metabolische Störungen (Kalium-Kalzium- u. Magnesium-Stoffwechsel, Niereninsuffizienz)
– Neurologische Störungen (Amyloidose, Sklerodermie, M. Parkinson, Rückmarks schädigung, Multiple Sklerose, Depression)
– Medikamentennebenwirkungen (Opiate, Antidepressiva, Parkinsonmittel, Psychopharmaka, Diurethika, Ibuprofen, Eisen)
Eine weitere wichtige Differentialdiagnose ist das sogenannte Reizdarmsyndrom, bei dem die Verstopfung im Vordergrund stehen kann. Hier ist eine Zusammenarbeit mit dem Hausarzt und ggf. einem Gastroenterologen sinnvoll.
Selbstverständlich muss auch eine organische Ursache der Verstopfung (z.B. Darmenge durch Entzündungen oder Tumoren) zuvor durch eine Darmuntersuchung, z.B. eine Darmspiegelung ausgeschlossen werden.
Neben der gezielten Befragung durch den Proktologen gibt es einige Untersuchungsverfahren, die eine Differenzierung ermöglichen. Erst danach kann eine gezielte Therapie erfolgen. Eine weitere Differenzierung kann auch durch gezielte Fragebögen erfolgen, die auch wir in unserer Praxis anwenden.
Die einzelnen Untersuchungsmethoden möchten wir Ihnen nun kurz vorstellen:
Die wichtigste Untersuchung ist die dynamische Untersuchung des Stuhlentleerungsvorganges mittels eine speziellen Röntgenkontrastmitteldarstellung. Dazu wird der Enddarm über einen dünnen Schlauch mit Kontrastmittel gefüllt. Der Patient nimmt auf einen speziellen Toilettenstuhl in der Röntgenabteilung platz. Die Entleerung findet unter Durchleuchtungsbedingungen statt. Durch moderne Röntgengeräte kann heute die Strahlenbelastung auf geringe Mengen reduziert werden. Es ist somit eine visuelle Darstellung des Entleerungsvorganges möglich. So kann beispielsweise festgestellt werden, wo sich Kontrastmittel ansammelt. Dies kann z. B. im verlängerten Mastdarm (sog. Enterozele) oder in einer Rektozele (Aussackung des Enddarmes) der Fall sein. Gleichzeitig kann eine „innere Einstülpung“ des Enddarmes, die ebenfalls Ursache einer Entleerungsstörung sein kann, festgestellt werden. Die Bilder können hinterher von Arzt und Untersucher gemeinsam am Computerbildschirm verfolgt werden.
Diese Untersuchung kann auch mittels Magnetresonanztomographie ohne Strahlenbelastung, jedoch im Liegen, durchgeführt werden, doch leider verfügen derzeit nur wenige Röntgenpraxen über Erfahrung mit dieser Untersuchung.
Bei Verdacht auf eine Transportstörung kann eine Messung der Transportzeit des Darmes erfolgen. Bei einigen Patienten besteht eine langjährige, hartnäckige Verstopfung, die häufig schon in der Kindheit beginnt. Die Patienten können häufig ohne Abführmittel keinen Stuhl entleeren. Die Stuhlfrequenz ist oft wenigen als einmal pro Woche. Zur Überprüfung erhalten die Patienten eine Kapsel mit bestimmten “Markern“. Sieben Tage später wird eine Röntgenaufnahme des Bauches angefertigt. Bei einer Transportstörung findet sich eine Verteilung der Marker im gesamten Dickdarm. In einigen Fällen sammeln sich die Marker auch im Enddarm und im Mastdarm als Zeichen einer Entleerungsstörung.
Ein spezieller Test ermöglicht auch den Nachweis von Transportstörungen im Dünndarm, die sehr selten sind. Dieser Test kann in einigen gastroenterologischen Praxen oder Krankenhausabteilungen durchgeführt werde.
In der Regel gelingt es, mit diesen Untersuchungsverfahren das Krankheitsbild einzugrenzen.
Nur bei sehr wenigen Patienten ist eine operative Behandlung erforderlich. Bei den meisten Patienten, ist auch auf anderem Wege eine Beschwerdeminderung zu erzielen. Eine effektive Therapie erfordert von dem Patienten sehr viel Motivation, Mitarbeit und Geduld. Eine Erkrankung, die oft über Jahre langsam entstanden ist, lässt sich nicht kurzfristig beheben. Den ersten Schritt für die erfolgreiche Behandlung stellt die Umstellung der Ernährungsgewohnheiten mit konsequentem Verzicht auf einen Abführmittelmissbrauch dar.
Gekennzeichnet ist diese Ernährungsumstellung durch folgende Punkte: ballaststoffreiche, natürliche Vollwerternährung ohne übermäßigen Fett- und Fleischkonsum und ohne übermäßiger Aufnahme zuckerhaltiger Lebensmittel. Wir haben in einem Merkblatt einige Empfehlungen bezüglich der optimalen Ernährung zusammengestellt. Sehr wichtig ist eine ausreichende Flüssigkeitszufuhr. Übergewicht sollte abgebaut werden. Ziel dieser Maßnahme ist eine Änderung des Stuhlgangsverhaltens. Die wichtigste Differentialdiagnose stellt das Reizdarmsyndrom dar, dass sich auch durch eine Verstopfungsneigung zeigen kann. Auch hierzu haben wir für Sie einige Tipps zusammengestellt.
Von ganz zentraler Bedeutung ist hierbei die konsequente Vermeidung übermäßigen Pressens und Drückens während der Stuhlentleerung. Als reflektorischer Vorgang sollte die Stuhlentleerung ohne größere Kraftaufwendung erfolgen. Die Stuhlentleerung sollte zu einem bestimmten gleichbleibenden Zeitpunkt des Tages (z. B. morgens) unter größtmöglicher Ruhe erfolgen. Streß kann eine mögliche Ursache für die chronische Obstipation sein.
Etwas aufwendiger ist die Behandlung bei der chronischen Verstopfung. Bei den wenigen Patienten, bei denen eine Transportstörung nachgewiesen wurde, wird wahrscheinlich auch weiterhin die Einnahme von Abführmitteln unumgänglich sein. Gute Erfahrungen bestehn hier mit Polyethylenglycol (z.B. Movicol, Laxofalk). Als allerletzte Möglichkeit bleibt bei diesen Patienten die Teilentfernung oder nahezu komplette Entfernung des Dickdarmes übrig. Bei allen anderen Patienten ist zunächst ein konsequenter Verzicht auf jegliche Abführmittel zwingend erforderlich. In jedem Fall sind die oben beschriebenen Ernährungsmaßnahmen mit dem Schwerpunkt der ausreichenden Flüssigkeitsaufnahme (mindestens 2 – 3 Liter pro Tag) einzuhalten. Häufig lässt sich bereits auf diesem Wege eine deutliche Besserung erzielen.
Bei vielen Patienten liegt der Verstopfung eine Störung der Enddarmentleerung durch ein Muskelungleichgewicht zugrunde. Der Patient „verspannt“ sich bei der Stuhlentleerung. Diese Störung kann durch die Diagnostik nachgewiesen werden. Eine spezielle Therapie ist durch Anwendung des Biofeedback möglich. Durch ein spezielles Programm werden die bis dahin unbewussten Vorgänge sichtbar gemacht und es ist eine effektive Änderung der Stuhlentleerung möglich. In der Regel werden wir bereits während des stationären Aufenthaltes mit der Therapie beginnen. Zeigt sich eine positive Wirkung, kann die Therapie auch mit Hilfe eines Leihgerätes zu Hause fortgesetzt werden. In unserer Praxis wird der Patient mit Hilfe einer Beckenbodentherapeutin in die Wirkweise des Gerätes eingeführt. Nähere Informationen finden Sie hier.
Bei Patienten mit spastischem Beckenboden kann auch durch die technik der viszeralen Osteopathie eine Besserung erzielt werden. Nähere Informationen hier.
In einigen Fällen finden sich bei den Untersuchungen organische Veränderungen, die durch operative Maßnahmen korrigiert werden können. Es handelt sich dabei um die Rektozele und die distale Rektumintussuszeption, die wir Ihnen kurz vorstellen möchten.
Die Rektozele stellte eine seitliche Aussackung des Darmes dar. Sie findet sich fast ausschließlich bei Frauen, bei denen sich der Darm in die Scheide drückt. In dieser Aussackung kann sich bei der Entleerung Stuhl ansammeln. Die Entleerung muss dann häufig durch Druck mit der Hand oder dem Finger von der Scheide aus oder seitlich am Darm unterstützt werden. In diesen Fällen spricht man von einer symptomatischen Rektozele, deren Korrektur bei einer Stuhlentleerungsstörung sinnvoll ist. Grundsätzlich muss man jedoch darauf hinweisen, dass über 80% aller Frauen und 20% aller Männer eine Rektozele aufweisen, die nur bei wenigen die Ursache einer Stuhlentleerungsstörung ist.
Die Rektumschleimhaut oberhalb der Linea dentata ist bei dieser Erkrankung ungewöhnlich mobil, besonders im anterioren Bereich, und kann dadurch zu Defäkationsstörungen führen, indem sie sich bei der Entleerung wie ein Pfropfen in den Analkanal senkt und so die Entleerung behindert. Häufig ist sie auch Ursache für peranale Blutungen. Nicht selten kommt es auch zum Schleimabgang im Sinne einer analen Inkontinenz II. Grades. Die genaue Bedeutung dieser Veränderung für die Entstehung von Stuhlentleerungsstörungen ist jedoch unklar.
Eine wichtige Rolle für Funktionsstörungen des Beckenbodens spielt auch die natürliche Alterung. Mit zunehmenden Alter kommt es durch die Senkung der Bauch- und Beckenorgane zur Veränderung dieses Gleichgewichtes der Beckenbodenstrukturen. Es entsteht eine Beckenbodensenkung, die besonders bei Frauen häufig stark ausgeprägt ist. Unterstützt wird sie durch schwere Geburten. Häufig hat bei Patienten, mit einer Beckenbodensenkung eine Entfernung der Gebärmutter stattgefunden. Durch die Senkung werden die Nerven und Muskeln gedehnt und büßen Anteile ihrer Funktion ein. Häufig besteht bei diesen Patienten eine chronische Verstopfung mit langjährigem Abführmittelmissbrauch und der Notwendigkeit starken Pressens bei der Stuhlentleerung über Jahre.
Eine umfangreiche wissenschaftliche Aufarbeitung der chirurgischen Therapiemöglichkeiten bei Stuhlentleerungsstörungen wurde im Jahre 2010 als ärztlicher Weiterbildungsartikel veröffentlicht. Nach Ausschöpfung der oben dargestellten sogenannten konservativen Therapiemaßnahmen kann bei ausgewählten Patienten eine operative Maßnahme angedacht werden. Beim Nachweis einer Rektozele und/oder Rektumintussuszeption als Ursache der Stuhlentleerung kann eine Korrektur durch die sogenannte STARR-Operation erfolgen. Bei diesem Verfahren wird mit Hilfe eines Klammernahtgerätes die überschüssige Rektumwand entfernt. Bei kritischer Indikationsstellung sind die Ergebnisse dieses Verfahrens gut. In einer eigenen Studie konnten wir auch im Langzeitverlauf bei ca.80% der Operierten gute Ergebnisse erzielen.
Die Studie, die erstmals Langzeitergebnisse vorstellte, können sie hier lesen.